Stars ohne Insta & TikTok: So funktionierte Popkultur in den 90ern
Damals, als die Welt noch analog war und man sein Idol nicht per Insta-Stalk verfolgen konnte, war Popkultur ein ganz eigenes Abenteuer. Wer in den 90ern aufwuchs, weiß: Unser „Social Media“ hieß BRAVO, unser Feed kam wöchentlich aus dem Zeitschriftenregal – und der Videotext war unser Google.
Begib dich mit mir auf eine Zeitreise in ein Jahrzehnt, in dem Stars nicht durch Algorithmen, sondern durch Posterwände berühmt wurden.
Der BRAVO-Kosmos: Unser TikTok in Papierform
Du hattest keinen Insta-Feed, du hattest die BRAVO. Dort entschieden ein paar Redakteure, wer „angesagt“ war – und wer in der Rubrik „Was wurde eigentlich aus…?“ landete.
Einmal auf dem Titel, warst du quasi Pop-Olymp. Einmal im „Starschnitt“? Du hattest es geschafft!
Wer als Teenie die BRAVO aufschlug, las nicht nur Interviews, sondern ganze Seelenbeichten: Wer hatte Liebeskummer? Wer war Jungfrau? Und ja, Dr. Sommer hatte mehr Einfluss auf unsere Aufklärung als jeder Schulunterricht.
Chartshows, VIVA & Co.: Unsere After-School-Scrolls
VIVA war unser YouTube – mit Musikvideos statt Reaction-Clips. Und statt „For You“-Page gab es die „Interaktiv“-Sendung, bei der man per Telefonvoting (!) Einfluss nahm.
Kein Algorithmus entschied, welcher Song durch die Decke ging – sondern wir mit unseren Anrufen und der Anzahl der BRAVO-Poster, die an unserer Wand klebten.
TV-Sendungen wie Top of the Pops, The Dome oder Bravo TV waren Pflichtprogramm – und das ohne „Skip Ad“-Button.
Der Videotext: Unser ChatGPT mit Ladehemmung
Heute kaum vorstellbar: Wir checkten News, Tourdaten und Chartplatzierungen im Videotext.
Ja, das bunte Pixelwirrwarr auf deinem Röhrenfernseher war das Google unserer Kindheit. Seite 241 für Musik, 203 für Klatsch, und wenn’s gut lief, war die CITA-Tour auf Seite 798.
Und wehe, man hat aus Versehen den Sender gewechselt, bevor sich die Seite endlich aufgebaut hatte…
Das Internet? Ja, schon… aber nicht für alle!
Mitte der 90er kam das Internet langsam in deutschen Haushalten an – aber wer es hatte, musste eine halbe Stunde einplanen, um sich einzuloggen (inkl. akustischem Pfeifkonzert).
Stars auf Myspace? Fehlanzeige.
Fanpost schrieb man auf Papier, mit Glitzerstift und Herzchen, und verschickte sie an Postfächer – keine Emojis, keine DMs, nur echtes Warten auf Antwort (meist vergeblich).
Konzerttickets: Damals bezahlbar, heute fast ein Kredit
Ein Ticket für Caught in the Act 1996? Vielleicht 30 Mark. Heute zahlt man für ein Konzert seines Lieblingskünstlers in einer guten Kategorie für einen Stehplatz manchmal gut und gerne das Zehnfache.
Warum? Weil Musiker früher von CD-Verkäufen leben konnten – und heute von Streams kaum noch was ankommt.
0,003 € pro Spotify-Stream reichen halt nicht für Miete, geschweige denn für eine Tourcrew.
Deshalb steigen Konzertpreise – denn Live-Auftritte sind oft die einzige wirkliche Einnahmequelle.
CDs, Kassetten & Platten: Unser Merchandise war Musik
In den 90ern hieß Support nicht „like & share“, sondern kaufen: Maxi-CDs, Bravo Hits, Tapes für den Walkman.
Jede neue Single wurde gefeiert wie ein Feiertag. Wir gingen in die Stadt, hörten im Laden Probe – und gingen mit stolzer Tüte nach Hause.
Heute? Ein neuer Song erscheint um Mitternacht auf Spotify, wird ein paar Mal durchgeskippt – und verschwindet im Shuffle.
Wer entscheidet heute, wer ein Star ist?
Früher: Die BRAVO-Redaktion.
Heute: Der Algorithmus.
Wer viele Follower hat, ist „relevant“. Ob echter Künstler oder Reality-Star – egal.
In den 90ern konnte man sich seinen Ruhm nicht einfach erkaufen. Man brauchte Talent, Ausstrahlung – oder einfach das richtige Posterlächeln.

Und trotzdem: Etwas Magisches fehlt heute…
Wir hatten weniger, aber es fühlte sich nach mehr an. Weniger Auswahl, aber mehr Bedeutung.
Weniger Klicks – aber dafür mehr Herzklopfen, wenn unser Star im Fernsehen auftrat oder man sich das neue Album kaufte.
Vielleicht ist das der Zauber der analogen Welt: Sie war langsamer. Und genau deshalb so intensiv.
Die 90er waren das letzte Jahrzehnt der analogen Popkultur. Ohne Social Media, aber mit echter Fanliebe.
Ohne Likes – aber mit Posterwänden.
Und ohne Filter – aber mit richtigem Glitzer auf echten Briefen.
Vielleicht können wir uns davon heute wieder etwas abschauen. Weniger scrollen, mehr fühlen.
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